Die Rückkehr an den Arbeitsplatz nach einer langen Krankheit ist oft mit gemischten Gefühlen verbunden. Einerseits ist da die Freude, wieder am Berufsleben teilzunehmen, andererseits bestehen Unsicherheiten bezüglich der eigenen Belastbarkeit und der Erwartungen. Genau hier setzt das Betriebliche Eingliederungsmanagement, kurz BEM, an.
Es handelt sich um einen strukturierten und unterstützenden Prozess, der Ihnen helfen soll, wieder gut und vor allem gesund im Job anzukommen. Dieser Prozess ist nicht nur ein Recht für Sie als Arbeitnehmer, sondern auch eine Pflicht des Arbeitgebers, ihn anzubieten. In diesem Artikel geben wir Ihnen 10 praxiserprobte Tipps für ein erfolgreiches Eingliederungsmanagement, die sich an Arbeitnehmer und Arbeitgeber richten.
- Ein offenes und frühzeitiges Gespräch zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber ist die grundlegende Basis für eine erfolgreiche Wiedereingliederung.
- Das Betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM) ist ein gesetzlich verankertes Recht für Arbeitnehmer und eine wertvolle Chance für beide Seiten.
- Eine stufenweise Wiedereingliederung, bekannt als „Hamburger Modell“, ermöglicht einen sanften und gesundheitsfördernden Wiedereinstieg.
- Die individuelle Anpassung des Arbeitsplatzes oder der konkreten Aufgabenbereiche ist ein zentraler und wirksamer Bestandteil des Prozesses.
- Geduld, gegenseitiges Verständnis und eine klare Kommunikation sind die wichtigsten Erfolgsfaktoren während des gesamten Eingliederungsmanagements.
Was ist Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) genau?
Hinter dem Begriff verbirgt sich ein klar definierter Prozess, der im Sozialgesetzbuch (§ 167 Abs. 2 SGB IX) verankert ist. Jeder Arbeitnehmer, der innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig war, hat einen Anspruch darauf. Der Arbeitgeber ist gesetzlich verpflichtet, Ihnen ein BEM aktiv anzubieten.
Für Sie als Arbeitnehmer ist die Teilnahme jedoch vollkommen freiwillig. Das BEM ist weit mehr als nur formale Krankenrückkehrgespräche. Es ist ein strukturierter Prozess, um gemeinsam nach Wegen und Lösungen zu suchen, die eine erneute Arbeitsunfähigkeit verhindern und Ihren Arbeitsplatz langfristig sichern sollen.
Es ist eine Chance. Keine Pflicht.
Eingliederungsmanagement: 10 Tipps, nach einer langen Krankheit
Ein erfolgreicher BEM-Prozess steht und fällt mit der Herangehensweise beider Seiten. Die folgenden zehn Tipps helfen Ihnen dabei, den Wiedereinstieg konstruktiv und im Sinne Ihrer Gesundheit zu gestalten.
1. Suchen Sie das offene Gespräch (Proaktivität)
Warten Sie nicht, bis der Druck zu groß wird. Als Arbeitnehmer können Sie signalisieren, dass Sie für ein Gespräch bereit sind. Als Arbeitgeber ist es Ihre Aufgabe, eine vertrauensvolle und angstfreie Atmosphäre zu schaffen. Dieses erste Gespräch sollte dem Austausch dienen, nicht der Kontrolle.
2. Bereiten Sie das BEM-Gespräch gut vor
Gehen Sie nicht unvorbereitet in das Gespräch. Überlegen Sie sich als Mitarbeiter im Vorfeld: Was traue ich mir zu? Wo sehe ich mögliche Schwierigkeiten? Welche Unterstützung könnte mir helfen? Arbeitgeber sollten sich über mögliche Maßnahmen und Anpassungen informieren, um konkrete Vorschläge machen zu können.
3. Ziehen Sie externe Unterstützung hinzu
Sie müssen dieses Gespräch nicht alleine führen. Als Arbeitnehmer haben Sie das Recht, eine Person Ihres Vertrauens hinzuzuziehen. Dies kann ein Mitglied des Betriebs- oder Personalrats, die Schwerbehindertenvertretung oder auch der Betriebsarzt sein. Diese Personen können vermitteln und Ihre Interessen wahren.
4. Prüfen Sie die stufenweise Wiedereingliederung
Dies ist eines der wirksamsten Instrumente im BEM. Bei der stufenweisen Wiedereingliederung, auch „Hamburger Modell“ genannt, kehren Sie schrittweise an den Arbeitsplatz zurück. Sie beginnen mit wenigen Stunden pro Tag und steigern die Arbeitszeit langsam über mehrere Wochen, ganz nach ärztlichem Plan.
Beim „Hamburger Modell“ erstellt Ihr behandelnder Arzt einen detaillierten Stufenplan. Während dieser Zeit gelten Sie weiterhin als arbeitsunfähig und erhalten Krankengeld von Ihrer Krankenkasse, was den finanziellen Druck mindert.
5. Passen Sie den Arbeitsplatz und die Aufgaben an
Oft sind es kleine Veränderungen, die eine große Wirkung haben. Mögliche Maßnahmen können ein ergonomischer Bürostuhl, eine spezielle Software, ein ruhigerer Arbeitsplatz oder die Umverteilung von körperlich schweren Aufgaben sein. Seien Sie kreativ und suchen Sie gemeinsam nach passenden Lösungen.
6. Definieren Sie klare und realistische Ziele
Halten Sie alle getroffenen Vereinbarungen schriftlich in einem Eingliederungsplan fest. Definieren Sie darin klare Meilensteine, Zuständigkeiten und Zeiträume. Dieser Plan sollte realistisch sein und keinen unnötigen Druck aufbauen. Er dient als Fahrplan für die kommenden Wochen.
7. Kommunizieren Sie mit dem Team
Die Kollegen spielen eine wichtige Rolle für den gelungenen Wiedereinstieg. Mit Ihrem Einverständnis als Arbeitnehmer sollte der direkte Vorgesetzte das Team über Ihre Rückkehr und die Rahmenbedingungen (z.B. reduzierte Stunden) informieren. Das schafft Verständnis und beugt Gerüchten vor.
8. Planen Sie regelmäßige Feedbackgespräche
Ein einmaliges Gespräch reicht nicht aus. Vereinbaren Sie feste Folgetermine, um zu besprechen, wie die Wiedereingliederung verläuft. Funktioniert der Plan? Ist die Belastung angemessen oder muss etwas angepasst werden? Ein regelmäßiger Austausch ist entscheidend für den Erfolg.
9. Haben Sie Geduld mit sich und dem Prozess
Der Weg zurück zur vollen Leistungsfähigkeit braucht Zeit. Rückschläge können Teil des Prozesses sein und sind kein Grund zur Sorge. Als Arbeitnehmer sollten Sie auf die Signale Ihres Körpers achten. Als Arbeitgeber ist Geduld und Empathie gefragt.
Die BEM-Akte mit allen vertraulichen Informationen muss strikt getrennt von der allgemeinen Personalakte aufbewahrt werden. Sie unterliegt den strengsten Datenschutzbestimmungen und darf nur von den direkt am Prozess beteiligten Personen eingesehen werden.
10. Dokumentieren Sie alles sorgfältig
Eine lückenlose Dokumentation aller Gespräche, Vereinbarungen und Pläne schafft Klarheit und rechtliche Sicherheit für beide Seiten. So können alle Beteiligten jederzeit nachvollziehen, was besprochen und vereinbart wurde.
Die Rolle der Beteiligten im BEM-Prozess
Ein BEM ist ein Teamprozess. Die folgende Tabelle zeigt, wer welche Rolle und Aufgaben im Verfahren hat.
Beteiligte Person/Stelle | Rolle und Aufgaben |
---|---|
Arbeitnehmer/in | Nimmt freiwillig teil, bringt aktiv Vorschläge ein, gibt ehrliches Feedback zur Belastung. |
Arbeitgeber | Initiiert und koordiniert den Prozess, schlägt Maßnahmen vor, stellt Ressourcen bereit. |
Betriebsrat/Personalrat | Überwacht die korrekte Einhaltung des Verfahrens, berät und unterstützt den Arbeitnehmer. |
Betriebsarzt | Beurteilt gesundheitliche Aspekte aus arbeitsmedizinischer Sicht, schlägt arbeitsplatzbezogene Maßnahmen vor. |
Leistungsträger (z.B. Krankenkasse) | Können als externe Partner den Prozess finanziell und durch Beratungsleistungen unterstützen. |
Typische Stolpersteine und wie Sie sie umgehen
Leider laufen BEM-Prozesse nicht immer optimal. Achten Sie auf diese häufigen Fehler, um sie zu vermeiden.
- Mangelnde Kommunikation: Das Gespräch wird aus Angst vermieden oder in einer unangemessenen „Tür-und-Angel-Atmosphäre“ geführt.
- Fehlendes Vertrauen: Der Arbeitnehmer fürchtet negative Konsequenzen wie eine Kündigung und ist deshalb nicht offen für Lösungen.
- Unrealistische Erwartungen: Der Arbeitgeber oder das Team erwarten, dass der Mitarbeiter sofort wieder zu 100 % einsatzfähig ist.
- Kein fester Plan: Maßnahmen werden nur vage besprochen und nicht verbindlich in einem Plan schriftlich festgehalten.
- Fehlende Nachsorge: Nach dem ersten Gespräch finden keine weiteren Follow-up-Termine statt, um den Prozess zu begleiten und anzupassen.
Ein gut strukturiertes und aufrichtig geführtes Eingliederungsmanagement ist eine enorme Chance für einen nachhaltigen und gesunden Wiedereinstieg. Es sichert dem Arbeitnehmer den Arbeitsplatz und dem Arbeitgeber wertvolles Know-how und die Arbeitskraft eines geschätzten Mitarbeiters. Im Kern geht es um Kommunikation auf Augenhöhe, Empathie und die gemeinsame Suche nach individuellen Lösungen. Sehen Sie das BEM als das, was es ist: ein konstruktives Werkzeug für eine gesunde und erfolgreiche berufliche Zukunft.
Häufig gestellte Fragen
Bin ich verpflichtet, am BEM teilzunehmen?
Nein, die Teilnahme am Betrieblichen Eingliederungsmanagement ist für Sie als Arbeitnehmer vollkommen freiwillig. Eine Ablehnung darf keine direkten negativen Konsequenzen haben. Sie sollten jedoch bedenken, dass die Ablehnung eines ordnungsgemäß angebotenen BEM in einem späteren Kündigungsschutzprozess nachteilig für Sie ausgelegt werden könnte.
Was passiert, wenn ich dem BEM zustimme?
Wenn Sie zustimmen, werden Sie zu einem vertraulichen Erstgespräch eingeladen. Dort erörtern Sie gemeinsam mit dem Arbeitgeber und eventuell weiteren Beteiligten (z.B. Betriebsrat), wie Ihre Rückkehr an den Arbeitsplatz gesundheitsfördernd gestaltet werden kann. Ziel ist es, einen konkreten Plan mit Maßnahmen wie einer stufenweisen Wiedereingliederung oder Arbeitsplatzanpassungen zu entwickeln.
Wer erfährt von den Inhalten des BEM-Gesprächs?
Die Inhalte sind streng vertraulich. Nur der direkt am Prozess beteiligte Personenkreis hat Zugang zu den Informationen. Ihre medizinischen Diagnosen sind dabei kein Thema, es sei denn, Sie möchten von sich aus darüber sprechen. Es geht um Ihre funktionellen Einschränkungen und Fähigkeiten. Die BEM-Akte wird zudem getrennt von Ihrer Personalakte aufbewahrt.
Was ist das „Hamburger Modell“?
Das „Hamburger Modell“ ist die gängige Bezeichnung für die stufenweise Wiedereingliederung. Nach einem ärztlichen Plan kehren Sie schrittweise an Ihren Arbeitsplatz zurück, beginnend mit wenigen Stunden täglich. Während dieser Zeit sind Sie offiziell weiterhin krankgeschrieben und beziehen Krankengeld von Ihrer Krankenkasse. Ziel ist es, Sie langsam wieder an die volle Arbeitsbelastung heranzuführen.